Wenn schon nicht schuldenfrei, dann bitte von A wie anti bis Z wie zyklisch

Nach mehr als fünf Jahren und der längsten Wahlperiode im Kreis Siegen-Wittgenstein – und nicht zuletzt als erste Duftmarke vor der Kommunalwahl 2020 – ist die aktuelle Haushaltsdebatte auch Rückblick, Abrechnung und Deutung der politischen Arbeit für den Kreis Siegen-Wittgenstein.

Bei aller Unterschiedlichkeit unserer Fraktionen – aus Sicht der Liberalen – vielen Wohlfühl- aber Fehlentscheidungen in der politischen Abstimmung möchte ich zu Beginn etwas hervorheben: Bei aller Unterschiedlichkeit, manchem politischen Streit, auch mancher Flegelhaftigkeit (nehme mich da nicht aus) eint diesen Kreistag in Sachen Zusammenarbeit, Kollegialität und Solidarität mehr als man draußen wahrnimmt. Teer und Federn lasse ich daher heute im Keller,“ so beginnt Guido Müller, Fraktionsvorsitzender der Freien Demokraten im Kreistag Siegen-Wittgenstein, am Freitag, den 13. Dezember 2019 seine leidenschaftliche Haushaltrede.

In der Folge geht der Fraktionschef insbesondere auf drei wesentliche Fragen ein:

  1. Warum sind wir hier besonders kritisch?
  2. Geht Kommunalpolitik mit der schwarzen Null?
  3. Wie finanzieren wir den Kreishaushalt in Zukunft?

Aber, lesen Sie ruhig weiter…

Mir ist es ein Anliegen einigen Namen in Erinnerung zu rufen: Michael Gierling, Dorothea Schleifenbaum, Heinz Werner Feuring und Hermann Kaiser. Vier Kreistagsmitglieder die im Laufe der Wahlperiode von uns gegangen sind. Wenn man daran denkt, dann ist Streit wieder mehr Kultur als Kampf. Mit dem Wechsel im Landratsamt – und einem Kreistag, der keine klassischen Mehrheiten mehr hat – haben wir eine Wahlperiode erlebt, in der Steuereinnahmen exorbitant anwuchsen. Eine Wahlperiode ohne jegliche finanzielle Einnahmenot. Nicht im Bund, wenig im Land und eben auch nicht auf Kreisebene. Und wenn die Bürgermeister ehrlich sind, auch nicht auf kommunaler Ebene.

Das Problem im Kreis ist, dass man als Sandwich-Behörde – je nach Blickwinkel liegt man oben oder unten – aber, wenn man ehrlich ist, dann ist man die Trennscheibe Toastbrot zwischen Käse und Wurst – Land/LWL auf der einen und Kommunen auf der anderen Seite. Eine Funktion, die wir ausführen, weil es so vorgegeben ist, die aber tatsächlich keine elementare Funktion gibt, die nicht anders gelöst werden könnte. Das erklärt auch, warum es schwerfällt, für die klassischen Aufgaben des Kreises eine flammende Liebe zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein Landrat, der seinen eigenen Haushaltsentwurf – ohne Not und Beratung – direkt wieder einkassiert und den Hebesatz nach unten anpasst. Ein Delta von mehr als 7 Millionen Euro, die im Zweifel gegen die Ausgleichsrücklage gebucht wird, die vor allem aber Zweifel daran lassen, wieviel Geld man für das Managen des Kreises wirklich braucht.

Lieber Andreas, ein Haushalt steht oder nicht. Wenn die Verwaltung neben der Einbringung auch zweite und dritte Lesung im voreilenden Gehorsam übernimmt, dann stimmt etwas mit der Rollenverteilung nicht. Bedeutet für mich vor allem eines: der eingebrachte Haushalt ist nicht mehr, als ein Zahlenwunsch. Keine Gesetzmäßig- oder Notwendigkeit. Oder war der mentale Druck der Bürgermeister einfach zu groß? Entschuldigen Sie Herr Kiss, das halte ich für wenig glaubwürdig.

Bleiben wir bei Ihnen Herr Kiss, herzlich willkommen zu ihrer ersten Stellungnahme im Kreistag. Aber Hand aufs Herz, bei elf potenten Leistungskommunen mit elf Profis an der Verwaltungsspitze und ebenso guten Kämmerern sind die Einwände die hier gemacht werden marginal. Beim ewigen Streit um die Freiwilligen Leistungen bin ich ganz nah bei Ihnen Herr Kiss. Ich widerspreche – übrigens ebenso wie die GPA – der Erwiderung der Kreisverwaltung, dass der Umfang unserer freiwilligen Leistungen – gemessen an dem Gesamtvolumen – angemessen ist. Aber: Wenn Sie den Stier reiten wollen, dann packen Sie ihn an die Hörner. Sagen Sie uns, was sie fordern. Wo soll eingespart werden. Keine Philharmonie? Kein Kultur Pur? Kein Siegerland Flughafen? Die Privilegierung des EVAUS beenden? Die Kreis-VHS auflösen? Oder wie von Seiten der CDU hinterfragt wird: keine Kleinkunst mehr im Lyz? Ich hatte gestern das Vergnügen im Lyz Mix Varieté darüber mit den heimischen Künstlern zu diskutieren. Es ist richtig, dass kritisch hinterfragt wird. Die Gedanken sind frei. Ich zweifele es an, dass es dafür eine Mehrheit gibt. Oder anderer Vorschlag: Wir entwickeln Eigenliebe und Selbstbewusstsein und machen den Kommunen das Angebot Aufgaben im Bereich Kultur, Wirtschaftsförderung, Weiterbildung und Tourismus alleine in die Regie des Kreises zu geben und Geld und Personal zu sparen. In den Freien Demokraten finden Sie aufmerksame Zuhörer, Herr Kiss, aber mehr Mut und Klarheit. Der Hinweis der Kreisverwaltung, dass man eine Sparkommission eingesetzt hat, ist eine Nebelkerze. Denn kein müder Cent wurde dadurch eingespart. Das Gremium tagt übrigens auch nicht mehr… das verschweigt die Verwaltung geflissentlich.

Durch die schnelle Nachbesserung des Landrates erhöht sich das Defizit des Kreises auf 12, 3 Milliarden EUR. Die neuen Ideen „Tausend Dächer“, „Wohnraum- und Wohnbaulandmobilisierung“,

„erneute ÖPNV-Bezuschussung“ sind da noch gar nicht drin… auch diese neuen Ideen, für vermietmuffelige Wohnraumbesitzer und sonnesuchende Energieselbstversorger sind natürlich freiwillig. Und nein, sie sind nicht Aufgabe unserer Super-Kommune. Es ist nicht unsere Aufgabe Vermieter zu ködern, ihre Einliegerwohnungen und Betonreserven zu öffnen. Zu wenige Wohnungen in Siegen-Wittgenstein? Nein. Allein die KSG hat über 100 Wohnungen aktuell nicht vermietet. Zu wenige Sozialwohnungen in Siegen-Mitte? Ja. Aber es ist nicht Aufgabe Siegen-Wittgenstein hier zu steuern. Und: Leben in der Wenscht, Langholdinghausen oder Erndtebrück ist auch leben- und liebenswert. Wenn Siegen eine Gentrifizierung der Innenstadt vermeiden will, dann ist das alleine der Job der Stadträte und der Stadtverwaltung. Warum müssen wir das vom Kreis steuern? Halten wir Netphen, Kreuztal, Burbach nicht fähig, sozialen Wohnungsraum zu schaffen?

Warum sind wir hier besonders kritisch?

2014 – das darf man nicht vergessen – in der schwersten Krise der FDP, ohne Bundestagsrückendeckung, sind wir mit unserem Wahlkampf zum Thema „Zukunft geht schuldenfrei“ überraschend sicher mit 6,3 Prozent in den Kreistag eingezogen. Es gibt also Wähler, die eine zukunftsgewandte Politik suchen. Das beruhigt. Und Zukunft hat nur schuldenfrei eine Überlebenschance. Und aus diesem Grund werden wir einem Haushalt, in dem diese Anträge berücksichtigt sind, inhaltlich nicht zustimmen. Unklar ist auch, wie 2,5 zusätzliche Stellen im Haushalt zu einer Kostensteigerung von 500.000 EUR führen. Neben der inhaltlichen Ablehnung ist es auch der gewählte Weg, die Hebesatzsenkung allein durch Pump und Kredit zu erzielen. Mit einem Hebesatz von 36,3 Prozent können wir natürlich im Sinne der Kommunen leben, aber wenn dieses Angebot seitens der Verwaltung gemacht wird, dann ist es auch an dieser, dafür Einsparpotenziale in Höhe von 7,3 Millionen darzustellen.

Geht Kommunalpolitik mit der schwarzen Null?

Nein! Nicht wenn die Gemeindefinanzreform nicht endlich das Geld auf der kommunalen Ebene belässt. Steigende Sozialausgaben und immer nur gleichbleibende Transfers durch den Bund, führen zu einem großen Delta. Das bedeutet im Gegenzug aber nicht, dass man die eigenen finanziellen Grenzen ignorieren kann. Eine kluge Politik muss antizyklisch wirken. Eine drohende Wirtschaftsdepression bedeutet Einbußen bei der Gewerbesteuer. Dieses Szenario liegt im Schlagschatten. Sind wir darauf vorbereitet? Nö. Das Gebot ist ein antizyklisches Verhalten, um sicher durch die Krise zu kommen.

Wie finanzieren wir den Kreishaushalt in Zukunft?

Genau. Durch Anhebung des Hebesatzes. Was bedeutet das für die Kommunen? Anhebung der Grundsteuer B, höhere Kosten für Eigenheimbesitzer und Mieter. Subvention von 1000 Solarstrom-Anlagen zur eigenen Gewinnerzielung für wenige, finanzieren 160.000 Haushalte. 5 Millionen Fonds-Ausstattung für die Bauförderung der Kommunen und die Anregung privater Immobilienbesitzer für das Schaffen von Wohnraum zur Vermietung? Das zahlen wir alle. Wenn die Ausgleichsrücklage verfrühstückt wurde, übrigens mit einem Hebesatz von rund 40 Prozent.

Sprechen wir über das, was uns wirklich an Themen auf die Füße fallen kann, den ÖPNV. Die Fassade der Eigenwirtschaftlichkeit wird hochgehalten, doch sie hat nicht nur Risse, sie ist im Grunde nicht mehr vorhanden oder statisch abgängig. Das kann täglich geschehen. Neben Schul-, Azubi-, Sozial- und Jobticket geistern neue Pläne durch den Raum, Stichwort Familienticket. Das Problem: all diese Tickets kanibalisieren sich und führen im Ergebnis nicht zu den erwünschten Mehreinnahmen. Das man aber 2,5 Millionen Euro, neben den mehr als 4 Millionen Euro Schüler-Ticket und die Millionen aus den ÖPNV-Pauschalen nun auch noch an die Fahrbetriebe zahlen will, das zeugt von der großen Angst, dass ein Konzessionsnehmer den Bus in die Haltebucht fährt. Um hier vorbereitet zu sein, haben wir eine Machbarkeitsstudie zur Kommunalisierung gefordert und der Kreistag ist dem – mit Widerspruch der CDU – gefolgt. Es ist allerdings keine Vorentscheidung, sondern der Kreis muss aus der Rolle des Reagierenden zu demjenigen werden, der das Heft des Handelns wieder in der Hand hält. Jedem der glaubt, dass die Lösung ist, dass möglichst jeder ein subventioniertes Ticket besitzen soll, dem muss man erklären, dass in einem Flächenkreis jenseits der Stadt der ÖPNV ein Restverkehrsmittel ist. Ein Nahverkehrsplan kann und darf daher nicht mit immer neuen Ideen und Services erweitert und Fahrleistung unter Preis angeboten werden. Aus Sicht der FDP wird der nächste Nahverkehrsplan nicht erst nach zehn Jahren zu verhandeln sein. Übrigens der beste ÖPNV hat keine Chance, wenn er keine Vorfahrt in der Stadt hat…

Der nächste Kreistag wird die Themen Talsperren, Krankenhausverbund und KiBiz zu begleiten und zu lösen haben. Alles Themen, die zu 100 Prozent die Unterstützung der Liberalen erhalten werden. Teure Themen, aber gegenüber dem kakophonischen Wunschkonzert des aktuellen Haushaltes, sind es echte Zukunftsthemen für Siegen-Wittgenstein.

Ich danke den Mitarbeitern der Verwaltung – nicht ohne noch einmal den Wunsch zu äußern, dass Landrat und Kreisdirektor endlich eine gemeinsame Schlagkraft entdecken – bedanke mich bei meiner Fraktion für das kollegiale und bei den anderen Fraktionen für das – hinter den Kulissen durchaus freundschaftliche Miteinander. Zurückkommend zu meinem Einstieg: John Montagu, 4. Earl of Sandwich hat das Sandwich erfunden, um sich von einem Kartenspiel nicht ablenken zu lassen. Das Brot-Belag-Ensemble hat also eine praktische Funktion. Es wird Zeit, dass wir diese Funktion auch in unserem Kreis erkennen. Nicht mehr, nicht weniger. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.